Das Warten an der Haltestelle verbringst du mit Glotzen,
Vornehmlich auf all die fröstelnden Gestalten,
Die an diesem nasskalten Herbsttag mit dir hier warten,
Um die Summe an für einen Götzen verschwendeten Lebens
Über das veranschlagte und dokumentierte Maß hinaus
Gemeinsam auch mit dir noch zu vermehren.
Doch dann fällt dein Blick unwillkürlich auf den Boden,
Das alte Steinmosaik zwischen Rathaus und Kirche,
Und einmal mehr erfassen dich unwirkliche Gedanken.
Der Glanz des schwachen, vergangenen Regens,
Könnte genauso der von tausend Tränen sein.
Oder gar der von Blut, zumindest bei Nacht.
Hier waren vielleicht einmal Menschen gestorben,
Genau auf diesem Platz, oder was vorher einmal hier war.
Und vielleicht würde es bald wieder geschehen,
Immerhin hast du heute erst erneut erfahren,
Dass die Zeiten von Judensternen und Sündenböcken
Doch noch nicht ganz so überwunden sind wie gehofft.
Nagut, diese Neuigkeit war gar keine,
Immerhin weißt du von alledem schon lange,
Eigentlich würdest du auch gerne Widerstand leisten,
So richtig, natürlich, nicht nur reden und reden,
Sondern auf der Straße, wider das alles Mögliche,
Insbesondere die Sadisten in den Hundertschaften.
Eigentlich könnte das Kopfsteinpflaster Argumente liefern,
Wenn die Menschen von Zwangzigpunktvier nicht nur reden,
Sondern endlich aus ihren geistigen Löchern kriechen
Und dem ganze Spuk ein schnelles Ende bereiten würden.
Dann denkst du an die Räder der Bahn, unter dir,
Wie sie einen Menschen zermalmen könnten, einfach so, mühelos,
Und, im Gegensatz zu den Mühlrädern außerhalb deiner kranken Fantasie,
Nicht nur metaphorisch, sondern mit anderen griechischen Fremdwörtern,
Zum Beispiel psychisch, politisch oder ökonomisch.
In der Ferne rollen die Kräne vorbei und ihre Produkte,
So würde man es heute wahrscheinlich nennen,
Bedrückende Kolosse in denen noch bedrückendere Dinge geschehen.
Hier in der Straße ist ein Amt, Agentur, Anstalt,
Wie auch immer man das heutzutage nennen mag.
Gleich hier, um die Ecke, hätte Auschwitz sein können,
Denkst du, ehe du realisierst dass es längst da ist,
Nur unter anderem Namen und mit anderen Opfern,
Und manchmal etwas metaphorischer, oder so ähnlich.
Dann steigst du aus, wie jeden Tag, Woche für Woche,
Und stets ist die Erleichterung ob der Ankunft zuhause
Schwächer als noch am vorigen Abend.
Wie immer gehst du gleich als erstes ins Bad,
Doch diesmal siehst du die Spuren von gestern,
Jenem erneuten Ausbruchsversuch deines Verstandes,
Gescheitert ausschließlich an deinem Unvermögen,
Endlich Schluss zu machen - mit was auch immer -,
Stinkend auf den Kacheln verteilt vor sich hinfaulen.
Hastig spülst du also den letzten Rest des Erbrochenen weg,
Ehe dein mentaler Würgereflex endgültig seine Dienste versagt.
Wie ein Mann willst oder musst du es tragen, endlich,
Du weißt nur noch nicht genau was, aber auf jeden Fall geht es weiter.
Und auf einmal denkst du zurück
An den Glanz, vorhin, auf dem Pflaster,
Und wischst eilig die Gedanken weg,
Wie wertvoll doch solch ein Stein sein könnte,
Würde er nur in die richtige Richtung geworfen.
Doch da niemand zu werfen beginnt,
Wirst auch du morgen wieder deinen Beitrag leisten,
Die Mühlräder weiter mit Menschen zu beheizen,
Und als erstes, wie jeden verdammten Morgen, mit dir selbst.
2008-10-27
kopfsteinglanz
(2008)
Labels: paria
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